Leseecke

Am Anfang ist alles gut gegangen. Der Onkel hat mit seinem selbst gemachten Geld eingekauft. Aber dann ist er einmal mit einem Körberl voll selbst erzeugter Münzen in ein Gasthaus gekommen. Er hatte da schon großes Vertrauen in sich selbst und hat eine der großen Münzen mit Schwung auf den Tisch geworfen. Er hatte vorher wohl auch schon viel getrunken. Jedenfalls ist da die Münze auseinandergefallen. Mein Onkel hatte anscheinend zu viel Glas beim Geldmachen erwischt und zum Metall gemischt. Die Kellnerin hat das gesehen und sofort nach der Polizei gerufen. Aufs Geldmachen ist in Jugoslawien draußen die Todesstraße gestanden. Damals ist man noch streng gewesen.
Die Polizei ist auch gleich gekommen. Da hat mein Onkel eine Pistole gezogen, sie angelegt und sich damit vom Unterkiefer durchs linke Auge geschossen. Daraufhin ist ihm die Todesstrafe erlassen worden. Weil er selbst versucht hat, sich umzubringen. Es ist ihm auch gar nichts anderes übrig geblieben, sonst hätte ihn die Polizei erschossen. Das Geld haben sie ihm weggenommen. Er hat dann noch viele Jahre gelebt. Nur ein Auge hat ihm gefehlt. Er ist sogar wieder als Musikant aufgetreten.

Aus: „Schwarze Nebel, weiße Hände“, Kapitel „Draußen geboren“

Heute ist praktisch nichts mehr davon neben der Kirche zu sehen. Selbst viele Einheimische wissen nicht, dass neben St. Urbani einmal eine Keusche samt Tenne gestanden ist, mein Elternhaus. Das hat die SS im Herbst 1944 abgebrannt. Und wenn es nach diesen Leuten gegangen wäre, hätten sie meinen Vater, meine Schwester und die alte Frau, die bei uns gewohnt hat, mit dem Haus mitverbrannt, wie sie es weiter unten am Berg in Pernitzen mit einem Schulkollegen von mir gleich darauf gemacht haben

Aus: „Schwarze Nebel, weiße Hände“, Kapitel „Abgefackelt“

In der ersten Zeit bin ich ziemlich ungeschickt gewesen. Aber ich habe schon ganz gut verdient. 70 Groschen Stundenlohn habe ich 1946 bekommen. Für 70 Groschen hat man sich ein paar Semmeln oder ein Brot kaufen können. Aber das Geld ist ohnehin übers ganze Monat abgerechnet worden und da sind es dann mehr als 100 Schilling gewesen.
Damals hat es bei der Firma Staudacher 120 Holzarbeiter gegeben. Dazu sind etliche Bauholzhacker gekommen, darunter auch mein Vater. Besonders viel Bauholz hat Staudacher nach Griechenland geliefert, das damals pünktlich bezahlt hat. Im Höllgraben, der heute menschenleer ist, haben nach dem Krieg mehrere Familien gewohnt. Die Keuschen haben alle Staudacher gehört.
Mit jedem Jahr habe ich mehr Lohn bekommen. Bald war es ein Schilling pro Stunde. Da habe ich dann im Holzschlag gearbeitet.

Aus: „Schwarze Nebel, weiße Hände“, Kapitel „70 Groschen Stundenlohn“

Ihre wirtschaftliche Lage dagegen konnte kaum schlechter sein. In einem Dorf, wo sie sich niederlassen wollten, mussten sie in eine baufällige Holzhütte ziehen, in die es hineinregnete und wo die Mäuse zwischen den Füßen hin- und herrannten. Zum Heizen gab es nichts. Es war im Winter bitterkalt. Die sieben Kinder, die überlebt hatten, waren zu versorgen, doch der Bürgermeister untersagte allen Dorfbewohnern, der Familie zu helfen oder etwas zu essen zu geben, um sie möglichst schnell wieder aus dem Ort zu haben.
Dort kam der jüngste Sohn Leo auf die Welt. Unsere ohnehin zarte Großmutter war schon so ausgezehrt, dass sie kaum mehr Muttermilch fürs Stillen hatte. Sie konnte dem Säugling oft nur warmes Wasser oder ein Mehlkoch mit Wasser einflößen. Dennoch hielten sich die Dorfbewohner an das Verbot des Bürgermeisters, ihnen zu helfen. Nur eine alte Nachbarin kümmerte sich um den Befehl wenig und schob hin und wieder unter den Brettern eine Schale mit Milch durch.

Aus: „Zu Mittag um zwölf war alles erledigt“, Erster Teil: „Wir sind nur Einwanderer“, Kapitel „Hunger- und Wanderjahre“

Im Wirtshaus gab es zwei Tische. An einem saßen mehrere ortsfremde Männer beim Kartenspiel, am zweiten ein Einheimischer, der Bruder unserer Freundin. Mehr Tische gab es nicht. Wir setzten uns zum Bruder, der schon ziemlich angeheitert war. Wir kamen ins Gespräch. „Wo kommt denn ihr her?“, fragte er uns. Als wir ihm erklärten, dass wir die Enkel eines ehemaligen Bauern in der Gegend waren, blitzte es aus seinen verschwollenen Augen. Triumphierend rief er: „Ich kann euch genau sagen, wo euer Vater erschossen worden ist.“
Mein Bruder und ich waren wie vom Blitz getroffen. Sollten wir endlich die Wahrheit erfahren, knapp 60 Jahre nach dem Verschwinden unseres Vaters? Jene Wahrheit, auf die unsere Mutter bis zu ihrem Tod vergeblich gewartet hatte? Konnte uns ausgerechnet dieser Mann in diesem abgeschiedenen Wirtshaus den Platz zeigen, wo der Leichnam unseres Vaters verscharrt wurde?

Aus: „Zu Mittag um zwölf war alles erledigt“, Zweiter Teil, Kapitel „Das Geburtstagsgeschenk“